Wie KI die pathologische Diagnostik beflügelt.

Interview mit PD Dr. Yuri Tolkach, Uniklinik Köln

Porträt des Pathologen PD Dr. Yuri Tolkach vom Institut für Allgemeinen Pathologie und Pathologischen Anatomie der Uniklinik Köln
© Uniklinik Köln

PD Dr. Yuri Tolkach hat jahrelang als Urologe gearbeitet, ehe er sich der Pathologie zugewandt hat. Heute ist er Oberarzt am Institut für Allgemeine Pathologie und Pathologische Anatomie der Uniklinik Köln. Auf dem DKK 2024 wird er bei der Eröffnungspressekonferenz und als Vortragsredner dabei sein. Im Interview berichtet er darüber, wie Künstliche Intelligenz und digitale Pathologie die Krebsdiagnostik voranbringen, welche Vorteile sich durch die Anwendung von KI-Algorithmen für die personalisierte Medizin ergeben und teilt seine Begeisterung für die vielseitige Fachdisziplin.

Herr Dr. Tolkach, eine Frage zu Ihrer Person vorweg: Sie haben von der Urologie in die Pathologie gewechselt. Wie kam es dazu?
PD Dr. Yuri Tolkach:
Ich war sieben Jahre als Urologe in der Klinik beschäftigt und habe auch operiert. Als ich 2014 nach Deutschland kam, habe ich als Urologe in der Medizinischen Hochschule Hannover begonnen. Hier gab es viele Kooperationsprojekte mit der Pathologie und insbesondere zur molekularen Genetik. Da habe ich festgestellt, dass die Pathologie extrem gute Möglichkeiten für die Forschung bietet. Denn in den klinischen Fächern gibt es keine solchen fortgeschrittenen Methoden wie Molekularpathologie und alles, was wir in der Pathologie haben. Und ich habe mich entschieden, in die Pathologie zu wechseln – damals dann am Uniklinikum Bonn, und das war eine der besten Entscheidungen meines Lebens. Denn die Pathologie ist sehr vielseitig, und man arbeitet im gesamten Spektrum von Erkrankungen in allen möglichen Gebieten. Zudem kann ich mich nun an der Uniklinik Köln auch der Forschung und der KI widmen.

Sie setzen künstliche Intelligenz (KI) in der pathologischen Diagnostik ein. Wie können wir uns das vorstellen?
Lassen Sie mich zunächst voranstellen: Die Nutzung von künstlicher Intelligenz in der pathologischen Diagnostik ist sehr vielversprechend, aber wir stehen – übrigens weltweit – erst am Anfang einer Entwicklung. Nun zu Ihrer Frage: Eine der Routineaufgaben von Pathologen und Pathologinnen besteht darin, Gewebeschnitte zu analysieren, etwa aus kleineren Biopsien oder größeren Resektionspräparaten, um eine Tumordiagnose zu sichern oder um bestehenden Krebs zu charakterisieren. Dazu werden Standardfärbungen eingesetzt. Bisher haben Patholog*innen diese Schnitte auf Objektträgern unter dem Mikroskop untersucht. Eine zeitaufwändige Arbeit, die viel Expertise verlangt. Seit etwa 3-5 Jahren ist die digitale Pathologie auf dem Vormarsch. Sie ermöglicht das Einscannen solcher Bilder und eine sehr gute Visualisierung. Wir können die Gewebeschnitte jetzt am Bildschirm analysieren und brauchen kein Mikroskop mehr. Die Digitalisierung ist Voraussetzung für die Anwendung von KI-Algorithmen, denn sobald wir digitale Bilder haben, können wir diese auch mithilfe der KI analysieren. Und dadurch wiederum kann man schneller Diagnostik durchführen.

Was sind die Hauptanwendungsgebiete von KI in der pathologischen Onkologie?
Es gibt drei Hauptbereiche: Das erste sind verschiedene technische Algorithmen, ich nenne sie mal „Helfer-Algorithmen“. Sie dienen zum Beispiel der Qualitätskontrolle oder sorgen für einen reibungslosen Integrationsprozess von Daten. Sie laufen quasi im Hintergrund. Darüber hinaus gibt es zwei weitere Hauptanwendungsgebiete, die wirklich sehr klinisch orientiert sind. Das sind rein diagnostische Algorithmen, die uns helfen, gewisse Schritte im diagnostischen Prozess zu automatisieren. Ich gebe Ihnen ein Beispiel für eine typische Fragestellung für solche Algorithmen:  Bei einer Patientin oder einem Patienten wird eine Gastroskopie gemacht, es wird eine Biopsie aus dem Magen entnommen, und wir müssen anhand der Gewebeschnitte eine klare Aussage treffen, ob ein Tumor vorliegt oder nicht. Eine weitere Anwendung ist die Bestimmung des Aggressivitätsgrades von Tumoren, unabhängig vom betroffenen Organ. Die dritte Gruppe der KI-Algorithmen nennen wir fortgeschrittene Anwendungen. Diese umfassen z. B. die Erkennung molekulargenetischer Veränderungen und prädiktiver Biomarker, die für die Therapieauswahl entscheidend sein können. Das ist ein sehr spannendes Forschungsfeld, hier stehen wir aber noch am Anfang.

Welchen konkreten Nutzen bringt die Anwendung von KI in der Pathologie?
Es gibt eine ganze Reihe von Vorteilen, ich möchte zunächst auf Präzision und verlässlichere Ergebnisse eingehen. Wenn Patholog*innen Dinge analysieren, tun sie das in manchen Gebieten (z. B. Aggressivitätsgrading) mit einer gewissen Subjektivität, und diese liegt einem Phänomen zugrunde, das man als Interobserver-Variabilität bezeichnet. Das heißt, unterschiedliche Betrachtende können zu bestimmten Parametern unterschiedliche Meinungen haben. Eine solche Subjektivität gibt es bei Anwendung von KI nicht. Weitere wichtige Punkte sind Automatisierung und Zeitersparnis. Zeitmangel und Überlastung haben wir Pathologen und Pathologinnen immer. Die mithilfe von KI-Algorithmen gewonnene Zeit können wir sinnvoll zum Wohl unserer Patient*innen einsetzen oder auch dafür, mehr all dieser verschiedenen Daten aus Radiologie, Pathologie und Molekulargenetik zusammenzuführen und besser zu integrieren. Ich will Ihnen außerdem ein Beispiel nennen, was KI bieten kann, wozu Menschen gar nicht in der Lage sind. Wir haben einen neuen Parameter vorgeschlagen und untersucht, und zwar die Rekonstruktion des Tumorvolumens vor einer Therapie bei Patient*innen mit Ösophaguskarzinom. Erkenntnisse darüber sind sowohl für die Prognose wertvoll als auch für die klinische Stratifizierung von Patientinnen und Patienten.

Wie kann gewährleistet werden, dass überlegene KI-Anwendungen in die breite Versorgung gelangen und auch das medizinische Fachpersonal entsprechend geschult wird?
Die Anwendung von KI-Algorithmen an sich ist nicht schwierig und sehr schnell erlernbar. Der Engpass bei der breiten Versorgung besteht vorwiegend darin, dass die jeweiligen Institute bzw. Kliniken digitalisiert werden müssen. Und das bedarf gewisser Investitionen – ich nenne mal eine Größenordnung von 1 Million Euro für ein kleineres Institut. Zum anderen braucht es leistungsstarke Rechner oder Server im internen Netzwerk, um die Algorithmen laufen zu lassen, also eine gewisse Infrastruktur.

Die Entwicklung KI-basierter Anwendungen in der Pathologie schreitet mit enormer Dynamik voran und gilt als Treiber für die personalisierte Medizin. Welche Innovationen erwarten Sie in der Zukunft?
Die Anwendung von KI-Algorithmen bringt einen deutlichen Mehrwert für unsere Arbeit. Ich glaube, dass in den nächsten Jahren deutlich mehr Algorithmen diagnostischer Natur entwickelt werden und auch auf den Markt kommen. Denn es gibt noch nicht viele kommerziell erhältliche. Mit der Anwendung dieser Algorithmen können wir für mehr Objektivität sorgen. Besonders interessant sind die fortgeschrittenen Algorithmen, die prädiktive Informationen liefern, ob Krebsbetroffene auf bestimmte Therapieformen ansprechen. Das ist ein sehr aktives Forschungsgebiet, hier gibt es allerdings nur einzelne initiale klinische Zulassungen. Insgesamt gesehen ist die onkologische Pathologie schon ein sehr spannendes Anwendungsgebiet für KI, und ich bin wirklich gespannt auf weitere Entwicklungen, vor allem, dass ich dabei sein kann.

Sitzung und Pressekonferenz

PD Dr. Yuri Tolkach hält in der Plenarsitzung "Artificial Intelligence I: AI in pathological diagnostics" am Samstag, 24.02.2024, 8.40 Uhr, den Vortrag "What can Artificial Intelligence do in pathological diagnostics?"

Schon zuvor wird er als Podiumsteilnehmer auf der Eröffnungspressekonferenz am 21.02.2024, 11 Uhr zu seinem Fachgebiet referieren.